Medizinprodukte: Verschärfte Regeln für die Marktüberwachung ab Mai 2021

TÜV NORD GROUP

Bei einigen Medizinprodukten zeigt sich erst in der alltäglichen Anwendung, dass es zu Problemen kommen kann. „Beispielsweise wenn ein Pflaster auf verletzte Haut geklebt wird, auf die vorher eine Hautcreme aufgetragen wurde – die Kombination kann zu Interaktionen führen“, erläutert Medizinprodukte-Experte Jörg Stockhardt. „Oder eine Ernährungssonde lässt sich für die in Deutschland übliche gebrauchsfertige Nährlösung optimal einstellen. Aber in Ländern, wo dafür von Angehörigen Haferschleim angerührt wird, funktioniert sie womöglich nicht genau und zuverlässig genug.“ Aus diesem Grund sind nicht nur die zuständigen Behörden, sondern auch die Hersteller selbst verpflichtet, ihre Medizinprodukte zu überwachen, nachdem sie sie in Verkehr gebracht haben.

In einem aktiven und systematischen Prozess, so definiert es die Medizinprodukterichtlinie (MDR), müssen Hersteller in der „Post-Market-Surveillance“ Informationen über die tatsächliche Verwendung ihrer Produkte sammeln und auswerten. So soll frühzeitig erkannt werden, wenn Produkte verbessert oder zusätzliche Maßnahmen zur sicheren und leistungsfähigen Verwendung ergriffen werden müssen. Das Ziel: mehr Transparenz über oft lange, internationale Liefer- und Distributionsketten hinweg – und mehr Sicherheit für die Betroffenen.

Striktere Regeln ab Mai 2021

Mit Einführung der MDR gelten ab 26. Mai 2021 verschärfte Regeln für die Post-Market-Surveillance (PMS):

• Die PMS ist nun fester Bestandteil der Medizinprodukterichtlinie und wird damit gesetzliche Verpflichtung. Zuvor war ihre Ausführung lediglich in den Medical Device Leitfaden-Dokumenten geregelt und hatte damit keine Rechtsverbindlichkeit.

• Hersteller sind künftig gesetzlich dazu verpflichtet, auch Produkte ihrer Mitbewerber zu beobachten. Dazu müssen sie zum Beispiel wissen, wo ihre Produkte verwendet werden und welche anderen Produkte aus denselben Materialien oder für vergleichbare Zwecke dort eingesetzt werden.

• Auch eine Literaturrecherche wird zur Pflicht: In einem systematischen Verfahren müssen Datenbanken nach neuen Studien oder Erfahrungsberichten zu eigenen oder ähnlichen Produkten durchsucht werden. Bei letzteren müssen die Hersteller zudem die Vergleichbarkeit nachweisen.

Zusätzliche Sicherheitsberichte gefordert

„Der Aufwand für die Unternehmen steigt beträchtlich“. sagt Jörg Stockhardt, langjähriger Referent der TÜV NORD Akademie, der Firmen zu den Marktanforderungen an Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika berät. Zwar brauchten Hersteller auch bisher zum Beispiel schon eine klinische Bewertung, wenn sie ein neues Produkt auf den Markt bringen wollen. „Künftig müssen die Hersteller aber für jedes Produkt einen individuellen Beobachtungsplan haben“, so Stockhardt. Oder zumindest für jede generische Produktgruppe, deren Zusammengehörigkeit dann nachzuweisen ist.

Für Medizinprodukte höherer Sicherheitsklassen gibt es weitere Anforderungen: Ab Klasse IIa, beispielsweise für Zahnkronen, Hörgeräte und Kontaktlinsen, ist mindestens alle zwei Jahre ein aktualisierter Sicherheitsbericht fällig, der auch eine statistische Auswertung, Reklamations- und Marktbeobachtungsdaten sowie Verkaufszahlen beinhaltet. Bei Produkten der Klasse III, dazu gehören z.B. Herzkatheter, künstliche Gelenke und Herzschrittmacher, muss dieser regelmäßige Sicherheitsbericht, der „Periodic Safety Update Report“, mindestens jährlich aktualisiert, einer benannten Stelle vorgelegt und von dieser bewertet werden, um dann in eine europäische Datenbank eingestellt zu werden.

Trend-Report zeigt größer werdende Risiken auf

Auch veränderte Nutzungsgewohnheiten stehen im Fokus: „Künftig müssen Hersteller einen Trend-Report erstellen“, erklärt Jörg Stockhardt. „Wenn der Hersteller bei der Nutzung seines Produkts bekannte Gefährdungen feststellt, die in seinem Risikomanagement bereits als akzeptabel bewertet wurden, aber die aktuell beobachteten Daten von denen der Vergangenheit wesentlich abweichen, muss er das bei einem verschlechterten Nutzen-Risiko-Verhältnis den Behörden melden.“

Um all das zu stemmen, benötigen Unternehmen personelle Ressourcen im Bereich Regulatory Affairs. Für Medizinprodukte-Hersteller in Deutschland, die eher klein und mittelständisch geprägt sind, bedeutet das zusätzliche Kosten – und die gefragten Fachleute sind ohnehin kaum zu bekommen, der Markt ist leergefegt. „Die Unternehmen müssen ihr eigenes Personal fortbilden“, empfiehlt Stockhardt. Zu den Aufgaben der Fachleute gehören dann nicht nur umfangreiche Internetrecherchen, um die neusten Regelungen und Meldungen der Behörden zu verfolgen. „Auch für die Bewertung der zusammengetragenen Daten braucht es Expertise“, betont Stockhardt.

Wie sich Hersteller auf die neue Europäische Medizinprodukteverordnung einstellen können, steht im Mittelpunkt der MDR-Fachtagung der TÜV NORD Akademie, die am 24. Februar 2021 in Hannover oder online stattfinden wird: www.tuev-nord.de/de/weiterbildung/seminare/medical-device-regulation-mdr-fachtagung-a/

Mehr Informationen über die Neuerungen der Europäischen Medizinprodukteverordnung im Wissensportal der TÜV NORD Akademie: www.tuev-nord.de/de/unternehmen/bildung/wissen-kompakt/medizinprodukteverordnung/was-die-einfuehrung-der-mdr-fuer-hersteller-von-medizinprodukten-bedeutet/

Über die TÜV NORD GROUP:

Vor mehr als 150 Jahren gegründet, stehen wir weltweit für Sicherheit und Vertrauen. Als Wissensunternehmen haben wir die digitale Zukunft fest im Blick. Ob Ingenieurinnen, IT-Security-Experten oder Fachleute für die Mobilität der Zukunft: Wir sorgen in mehr als 100 Ländern dafür, dass unsere Kunden in der vernetzten Welt noch erfolgreicher werden.

Tags
Nach themenverwandten Beiträgen filtern

Aktuellste news

2 von 5 Finalisten beim Mittelstandspreis NRW aus dem Kreis Borken !

2 von 5 Finalisten beim Mittelstandspreis NRW aus dem Kreis Borken !

der große Preis des Mittelstandes...Zwei der insgesamt fünf Finalisten stammten hier aus dem @Kreis Borken. Glückwunsch an das Team der Anton Hörmann GmbH aus #Epe und der B&W Energy GmbH…

treqway: Dein Weg zu besseren Fotos - Entdecke das ultimative Fotografie-Equipment!

treqway: Dein Weg zu besseren Fotos - Entdecke das ultimative Fotografie-Equipment!

In unserer visuell geprägten Welt gewinnt Fotografie zunehmend an Bedeutung. Ob Profis oder begeisterte Amateure, sie alle suchen nach hochwertigem Zubehör, um ihre kreativen Visionen zu verwirklichen. treqway, ein aufstrebender…

Für unvergessliche Fahrten durch die Schweiz

Interview mit Thomas Baumgartner, Direktor der Appenzeller Bahnen AG

Für unvergessliche Fahrten durch die Schweiz

Das Appenzellerland in der Schweiz ist eine wunderschöne, überschaubare und kulturell reiche Region zwischen Bodensee und Säntis, mit dem Weltkulturerbe St. Gallen und einem reichlichen Angebot an Kulinarik mit lokalen…

Aktuellste Interviews

Die Hüter des Greens

Interview mit Christian Engelmann, Geschäftsführer der Engelmann Turf Care GmbH

Die Hüter des Greens

Der Ball rollt, glatt und erschütterungsfrei wie auf einem Teppich. Und so ähnlich sieht das perfekt gepflegte Grün etlicher Golfplätze auch aus – dank der Expertise der Engelmann Turf Care…

Vorreiter der Messebranche

Interview mit Oliver Frese, COO und Jasmin Fischer, Leiterin Unternehmenskommunikation der Koelnmesse GmbH

Vorreiter der Messebranche

Die Messeindustrie ist einem stetigen Wandel unterworfen, beeinflusst von globalen Trends, Technologie und den Bedürfnissen der Aussteller und Besucher. Ein Gespräch mit Oliver Frese, dem COO und Dr. Jasmin Fischer,…

Mit der rosaroten Brille in den Urlaub

Interview mit Michael Lambertz, Geschäftsführer der JUST TRAVEL GMBH

Mit der rosaroten Brille in den Urlaub

Mit Golfurlaub.com und JT.de betreibt die JUST TRAVEL GMBH zwei Marken, die unverkennbar für hochwertige Individualreisen stehen. Im Interview mit Wirtschaftsforum sprach Geschäftsführer Michael Lambertz über aktuelle Verschiebungen im Kundenverhalten,…

TOP